Stimmen aus dem Exil (8/10) | „Der Untergang des russischen Faschismus ist unausweichlich”

Seit 2011 stemmt sich Matweew gegen das Regime von Wladimir Putin. Im März dieses Jahres brach er den Kontakt zu seiner Familie ab, denn sie ist für den Krieg. Er ging nach Serbien und ließ sich in Novi Sad nieder. Dort demonstriert er gegen den Krieg und hilft ukrainischen Geflüchteten.

Von Matweew | übersetzt von Sarah Hofmeier

CdB / Bruno Tolić

Dieser Text ist auch auf Russisch, Französisch und Serbisch verfügbar.


Der Krieg in der Ukraine hat Millionen Menschen ins Exil getrieben. Ukrainer:innen, aber auch Menschen aus Russland und Belarus, die vor dem Moskauer Regime fliehen und in Serbien Zuflucht gefunden haben. Wie blicken sie auf ihre aktuelle Situation ? Wie erleben sie das Exil und ihre vielleicht endgültige Ausreise ? Hier kommen sie zu Wort.

Name und Alter des Autors wurden geändert.

Matweew Georgy, 37 Jahre alt, 3-D-Designer, politischer Aktivist seit Dezember 2011. 2012 war ich in Moskau bei den Protesten auf dem Bolotnaja-Platz dabei. Nun lebe ich in Serbien und engagiere mich hier in Anti-Kriegs-Bewegungen, ich nehme an Demonstrationen teil und helfe ukrainischen Geflüchteten.

2017 habe ich begonnen, meine Auswanderung zu planen, als mir klar wurde, dass ein Völkermord im Gange war, dass das Regime alles Gute zerstörte, das in den 90-er Jahren nach dem Fall des faschistisch-sowjetischen Regimes entstanden war : Freiheit, freie demokratische politische Institutionen, die auf dem Völkerrecht und dem Respekt der Menschenrechte beruhen. Es ist unmöglich, das Ausmaß des Blutbads zu erfassen : Politiker, Journalisten, Oppositionelle, unabhängige Medien werden ausradiert, ersetzt durch Hass, Aggressivität und unbegründete Wut gegen die USA und Europa.

Man muss sich einmal ansehen, wie das Regime das Bildungs- und Gesundheitswesen zerstört ; wie es die Ukrainer und Einwohner anderer freier Länder entmenschlicht ; wie die Gewalt und die eiserne Faust verherrlicht werden ; wie Mörder und Terroristen, dumme und mittelmäßige Menschen mit enormen Geldsummen belohnt werden. Es ist schwer zu erfassen, wie naive Russen die Vergeltungspropaganda schlucken, mit der sie gefüttert werden und wie die Jugend diesen Albtraum jämmerlich ignoriert hat, indem sie sich sagte : „Politik ist ein dreckiges Geschäft und es gibt überall Probleme."

Abreise Anfang März. Ankunft in Serbien. Seit Langem geplante Reise. 2021 habe ich alles verkauft, was ich in Russland besaß. Ich arbeite nun aus der Ferne. Meine Familie unterstützt den Krieg. Seit dem 24. Februar habe ich jeglichen Kontakt zu ihr abgebrochen. Der Großteil meiner Freunde hat mich enttäuscht ; hier habe ich Neue gefunden, Exilanten wie mich, viele wunderbare Leute, welche die Werte der freien Welt schätzen.

Ich fühle mich viel besser als in Russland. In Serbien engagieren wir uns politisch, um den russischen Faschismus zu bekämpfen. Russlands Propaganda nimmt auch hier Einfluss. Wir bemühen uns den Leuten zu erklären, dass Russland groß ist und dass der Präsident nicht das Land ausmacht.

Wie jeder Diktator hat Wladimir Putin einen fatalen Fehler gemacht. Er hat nur noch maximal zwei Jahre, bevor alles zusammenbricht.

Ab 2011 ging ich zu Demonstrationen auf den Bolotnaja- Platz. Mir war bewusst, dass mein Land in einer Diktatur versank. 2017 begannen wir unsere Auswanderung zu planen. 2016 haben wir Freunde in Novi Sad besucht und uns in die Stadt verliebt. 2020 hatten wir dann genügend Geld, um eine günstige Wohnung zu kaufen. Serbien hat sich als eine der besten Optionen herausgestellt, um mit unseren Mitteln zu leben. Südamerika ist zu weit weg, Georgien und andere Länder sind zu nah an Russland, zu sehr unter dem Einfluss des Regimes und dessen Anhängern. Serbien ist ein russophiles Land im Zentrum Europas mit einer wunderschönen Landschaft und Menschen mit einer europäischen Kultur. Unsere Entscheidung scheint uns in der jetzigen Situation beinah ideal.

Der Untergang des russischen Faschismus ist unausweichlich. Wie jeder Diktator (geblendet von der eigenen Dummheit) hat Wladimir Putin einen fatalen Fehler gemacht. Er hat nur noch maximal zwei Jahre, bevor alles zusammenbricht. Jahrzehnte der Unruhe könnten folgen. Die Russen haben die Freiheit zu leicht bekommen, die nordslawische Kultur ist zu jung, um diese unbezahlbare Chance zu schätzen. Sie muss erst den Schmerz, Tausende Tote, den Bürgerkrieg und so weiter überwinden, bevor sie sich an die einfachen Lektionen der Geschichte und die Entwicklung der Zivilgesellschaft erinnert. Dreiundsiebzig Jahre Völkermord am russischen Volk, die Sowjetregierung und die zig Millionen unterdrückten Menschen haben die Kultur dieser Region verändert. Gewalt und Terror sind zur Normalität geworden.

Aber es gibt noch Hoffnung ! Putin vergiftet die ganze Welt mit seiner stupiden Grausamkeit, die der eines Psychopathen gleicht. Am Geld klebt Blut. Diese Grausamkeit untergräbt alles, was die zivilisierte Welt mit so viele Mühe erreicht hat. Putins Verschwinden hätte weltweit positive Auswirkungen. Von Serbien bis in die USA.

Ich wurde von den Russen enttäuscht, von meinem Land. Für eine bessere Zukunft, müssen wir die beste Wahl treffen : In einer der westlichen Demokratien leben und der Menschheit helfen, ihre Kräfte und Mittel zu einen, um die Diktatoren dieser Welt zu besiegen.

Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung der Schweizer Botschaft in Belgrad und der Heinrich-Böll-Stiftung in Serbien veröffentlicht.